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Besinnliche Weihnachten

Wie Lina die Gefreeser Weihnacht zum Glänzen brachte

„Komm, das kann doch nicht so schwer sein“.
Lina blies die Wangen auf und … nichts. Kein Ton. Nichts.
Was hatte sie mit dem Guinness-Buch der Rekorde zu tun?
Warum stand gerade da in dem Buch ihr Waldhorn als Instrument, das am schwersten zu erlernen ist?
Sie hatte sich so gerne eine Gitarre gewünscht. Doch ihre Eltern meinten, sie sollte was Vernünftiges lernen.
Jetzt saß sie da und hatte das Blatt mit den Noten vor sich, dazu zur Vermeidung übermäßig vieler Hilfslinien auch den Bassschlüssel davor. Aber sie bekam es einfach nicht hin, durch das kleine Mundstück diesen Ton einen schweren Ton zu spielen.
Ihr Gesicht spiegelte sich in dem weit auslaufenden Schallbecher ihres schönen, neuen Horns, das sie zum Geburtstag bekommen hatte. Nicht, dass sie sich das gewünscht hätte, aber ihre Eltern fanden das „sooooo schöööööön“.
Kann man sich in der Gitarre auch so schön spiegeln? Sie kam schnell zu dem Schluss, dass es gut wäre, sich in diesem Augenblick nicht selber zu sehen, da alles gerade langsam in sich zusammenfiel. Nämlich ihr Gesicht. Auch wenn sie sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Schließlich konnte sie sich selbst sehen und musste nicht im Haushalt helfen.


Peng. Es knallte am Fenster.
Erschrocken sah sie hinaus. Eine Schneeballschlacht. Genau vor dem neuen Rathaus der kleinen Stadt, in die sie mit seinen Eltern vor einem Jahr gezogen war. Ihr Vater unterrichtete an der Grundschule in der Schulstrasse (wie passend) und ihre Mutter spielte in einem Posaunenchor (wie noch mehr passend). Also sollte sie auch etwas „Vernünftiges“ lernen. Was hätte sie jetzt dafür gegeben, mitspielen zu können. Ihren wunderbar kalten Atem sichtbar in die Luft zu pusten, anstatt in dieses große Blech. Im Glanz ihres Horns sah sie das G, das immer noch lächelte, sie es aber jetzt mit dem kalten Schnee zu einer schönen Note formte und sie Herrn Strauss, ihrem Hornlehrer, hinterherwarf.

„Lina, dass bekommst du hin“, sagte Herr Strauss. Ob man ihm, einer der berühmtesten Hornisten seiner Zeit, widersprechen durfte? Und er legte gleich nach.
„Auch wenn das G wohl der schwerste Ton auf dem Waldhorn sein soll, dass schaffst du“.

„Ha, und wie ich das alles hinbekomme“, fand Lina. In einer Hand das Horn, in der anderen den Schneeball, dann noch zielen und treffen.
Mit einer blitzschnellen Bewegung sauste der Schneeball aus ihrem Fäustling.
Peng. Es knallte an der Standuhr.
Sie traf wieder nicht. Weder Herrn Strauss noch das G.


Kaum zu Hause hörte sie ihre Mutter. „Du wirst sehen, bald wirst du erkennen, wozu du mit deinem Horn in der Lage bist.“
Linas Eltern konnten einem so richtigen Mut machen. Ihre Mutter hatte für sie zum Abendbrot eine Brezel gebacken.
In Form eines, besser gesagt ihres Horns. Damit sie das Gefühl bekommen sollte, dass die ganze Familie an sie dachte und es nur gut mit ihr meinten. Aber gleich auffuttern wollte sie die Brezel nicht, denn die fränkische Neujahrsbrezel soll ja ein Glücksbringer zum Jahresbeginn sein. Also lieber noch ein paar Tage warten, wenn dann alle zusammenkommen.
Lina formte aber beim Anblick des Brezelhorns ganz andere Gedanken. Rumtollen, spielen. Mit anderen Kindern einen Schneemann bauen und jetzt grade nicht Horn-Noten spielen. Auch wenn sie Noten mochte. Vor allem die mit dem schönen Häkchen, welche nun in ihren Gedanken als Knopfleiste am Revers des Schneemanns hingen.
Und die ganzen Notenreichten reichten ihr als fester Schneeball allemal.
Sie ließen sich halt sehr gut werfen.


Kaum wieder zu Hause, fragte Lina: „Wann schmücken wir denn den Baum?“
Sie würde dieses Jahr dreimal, nein, viermal so lange für die Kugeln und das Lametta des großen Weihnachtsbaums brauchen. Ihre Eltern hatten sich dieses Jahr besonders viel Mühe gegeben, so einen schönen und großen Baum zu finden. Seite Spitze kratze auch ein wenig an der Zimmerdecke. Da brauchte es halt mit dem Anhängen der vielen bunten Kugeln und all dem Lametta.
Dann würde das Christkind kommen, auf das sie sich – natürlich wie alle Kinder – am meisten darauf freute. Und nach dem Weihnachtsessen, dem Geschenke auspacken, würden sie alle in die Kirche zur Christmette gehen.
So war es ihr auch recht und gut. Je mehr Zeit sie mit Weihnachten verbrachte, um so besser.


Lina dachte über die Christmette nach.
Normalerweise war es ja so, wo die Weihnachtsbotschaft gehört wird, da wird auch gesungen.
Es wäre schon ein wenig seltsam, wenn in der Kirche alles nur still wäre. Musik gehört doch einfach dazu, oder? Mal traurig und nachdenklich, mal heiter und fröhlich.
Sie erinnerte sich an die letzten schönen Weihnachtsfeiern, an die Stille und auch ein wenig an die Traurigkeit. So ganz ohne Musik.
Sollte sie vielleicht doch anfangen, ein wenig zu üben? Nur ein ganz kleines bisschen?
Weil es diesmal schön werden sollte.


„Hast du nicht geübt?“
Herr Strauss kratze sich da, wo eigentlich der Schneeball hingehörte, und schaute Lina fragend an. Linas gesamte Zeit war natürlich für Weihnachten reserviert. Üben war da echt schwierig.
Doch Herr Strauss ließ nicht locker. „Ich habe hier was für dich. Kennst du den Pfarrer Ebel?“ Lina überlegte. Einer aus dem Dorf oder hier aus Gefrees?
Na ja, sie kannte den Herrn Pfarrer, auch den netten Herrn Bürgermeister, aber Pfarrer Ebel, noch nie gehört.
„Ich habe hier das Lied ‚Weihnachtsgruss‘ von ihm, an der wir üben sollten.“ Herr Strauss zeigte Lina die Noten. Auch wenn der Text sehr schön war, verzog sie erschrocken ihr Gesicht, was sich diesmal zum Glück nicht spiegelte. Hat das mit dem G denn nie ein Ende? Witzig fand sie aber, dass das 2. G sie anlächelte. Und dann noch beim Schnee. Hui, das könnte eventuell ein Spaß werden.
Wer weiß …


Heiligabend.
„Lina, kommst du?“
So langsam bildeten sich kleine Eisblumen am Fenster. Lina starrte von draußen in die warme Stube. Kalt war es nicht sonderlich, ihr Atem blieb aber an der Scheibe hängen und malte neue Muster. Ihr Bauch war warm, schließlich hatte es einen wunderbaren Weihnachtsbraten gegeben, der Baum leuchtete hinaus und ihr neuer Schlitten knirschte unter den metallenen Kufen. Weihnachten war einfach schön.
Ihre Eltern waren wie sie warm angezogen und bereit, zur Kirche zu gehen. Lina durfte ihren Schlitten mitnehmen und ihn an der Kirchenmauer festzurren. Das ganze Dorf, bald eine große Stadt, war da und in der Mitte stand ein schöner Flügel und darauf lag ein Horn. Linas Eltern hatten ihr gesagt, dass heute Abend ein sehr schönes Weihnachtslied gespielt werden würde. Der Herr Pfarrer trat an die Kanzel und erzählte eine Geschichte von dem begabten Pfarrer Ebel. Und auch von ihm sollte nun ein Stück gespielt werden, welches als Lied für die Vorweihnachtszeit Weihnachtszeit!!!!
da ist und eines bekanntesten Weihnachtskinderlieder sei. Für Lina war es unvorstellbar, wenn vor allem Weihnachtskinderlieder nicht mehr gesungen werden würden. Still und heimlich hatte sie die Melodie im Hinterkopf und summte diese leise, wie der Schnee rieselt, vor sich hin.


Herr Strauss kam aus der Tür hinter dem Altar heraus. Irgendwie schien er sich aber nicht zu freuen. Er stellte sich vor die Kanzel und sagte mit leiser Stimme, dass er nicht spielen könne.
Das „Horn“ ist krank geworden. Traurig blickte das ganze Dorf zu Boden. Den schönsten Moment dieser Christmette würde es jetzt nicht mehr geben und wie Weihnachten weitergehen sollte, wusste in dem Moment auch keiner. Ohne Musik, ohne Gesang, nein das durfte nicht wahr sein.

Lina fragte sich, ob Herr Strauss heiser ist, dass er nicht selbst spielen kann. Wie krank ist er denn? Könnte die Kirchengemeinde nicht a capella singen?
Warum spielt er nicht ohne Horn auf dem Flügel?
Sie wusste keine Lösung.

„Lina!“
Herr Strauss erblickte Lina, die just in diesem Augenblick anfing, sich langsam hinter ihren Eltern zu verstecken. Herr Strauss sprach ihren Namen aus und betonte ihn so, dass es nicht wie eine Frage klang. Was hätte Lina jetzt für ein ganzes G gegeben. In Schneeballform. Doch Lina stand auf und ging zu Herrn Strauss, der ihr wohlwollend das Horn gab.
„Du weißt doch noch, bald es ist heilige Nacht.“
Lina nickte vorsichtig …

„Erinnerst du dich an dein Gesicht mit deinen Wünschen? Sieh in dein Spiegelbild und spiele.“
Lina sah ihre ganze Freude im Horn. Sie hörte das Klavier von Herrn Strauss, welches sie zu jeder Note, die sie sah, hintrug. Es war ganz leicht, dieses schöne Stück zu spielen. Sie sah den Weihnachtsbaum, der nun hell leuchtete, ihre Eltern, Herrn Strauss, den Herrn Pfarrer, den Herrn Bürgermeister und das ganze Dorf. Es war still. Man hörte nur das Klavier und sie. Und das G, das sie anlächelte.

Sie flüsterte sehr leise ein Danke in Richtung aller, da es in der Kirche inzwischen mucksmäuschenstill geworden war. Lina sah, wie ihre Eltern glücklich lächelten und legte das Horn auf den Flügel.


Hatte sich das heimliche Üben doch gelohnt?
Sie gingen alle glücklich und strahlend hinaus in den Abend, wo der Schnee leise anfing zu rieseln und Lina band ihren Schlitten los.

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